Für Lille

Du hast dich angeschickt, dieses Land zu unterteilen: In Kopftuchmädchen, in Messermänner und was dir sonst so einfällt.
Du baust Schreckensbilder auf. Wofür?
Aus politischem Kalkül, weil du es so empfindest, oder es besser weißt, aber für die Karriere ein blinder Fleck eben opportun ist? Schließlich bist du in einer Partei, die sich über High-Performer wenig Sorgen machen muss, ein Licht. Lille!
Einer wie dir würde ich zutrauen, sich zu benehmen. Ein zivilsatorischer Grundanstand dürfte dir eigentlich nicht fremd sein. Den Gaul, den du reitest, treibst du jedoch so erbarmungslos radikal nach rechts. Auf der Strecke bleibt der Grundanstand.
Hast du jemals für eine Familie mit türkischem oder sonstwie Migrationshintergrund am Tisch Platz gemacht? Sie willkommen geheißen in etwa 30 Sekunden? Die Tasche beiseite räumen, einen Stuhl zu Recht rücken und im Gesicht des Gegenübers einen Menschen an einem Sonntagabend zu sehen?
Ein Mensch, der als Frau, Mutter, Vater, Mann mit seinen Kindern essen will. Sie bedankt sich und erinnert mich an einen exotischen Film. Dass seine Frau Strahlkraft hat, weiß er. Aber jetzt erst mal ein Hähnchen essen.
Lille, wenn Du deinem Herzen folgen willst, weißt du noch, wo du es findest?

Lehrernd

Sie ist versoffen, seit mindestens einer Generation. Das Wesen einer Thresenschlampe teilt sie mit ihrer Schwester, vermutlich. Blitzgescheid, nach Bruchlandungen im öffentlichen Dienst als Dozentin für Englischunterricht gelandet. Mach da bloß keinen Fehler! English, you know, what I mean.
Einfach ist anders. Scheitern ist mehr als there was something going wrong.
“Von Dir habe ich gelernt”, sagt sie nach dem dritten Schnaps. Ein Kompliment, das Wolken der Vergangenheit in sich trägt.

Es ist ein Aufzug

Den zweiten Weltkrieg überlebt. Den Ersten bereits gesehen. Als er gebaut wurde, war er ein Wunder.
Ohne Mühe das Stockwerk zu wechseln. Die gewünschte Etage zu erreichen ohne zu steigen. Technik, eine Maschine, die Menschen bewegt mit Strom.
Dafür sind Watt erforderlich, Ampere und ja irgend einen Tesla gab es auch noch. AEG, Siemens Halske, als Berlin noch nicht wusste wie es ist, mit Bomben traktiert zu werden und im Straßenkampf zu fallen. Bis auf einen Rest zu verschwinden.
Aufwärts nach oben, die nächste Etage nicht nur erstreben, sondern erreichen. In der Clausewitz-Straße, Charlottenburg.
Er konnte es. Bis heute kann er es. Hölzern, eingefasst von einem filigranen Geflecht aus Stahl. Und einem Motor, der ihn treibt. Darüber schweigt er lautlos. Er hat ihn. Genug, um jede Etage zu erreichen, auf Knopfdruck.
Nach über 100 Jahren nimmt er sich Rechte raus. Steckenbleiben ist möglich. Manchmal fehlt der Wille, trotz Watt und Ampere. Für Tesla fehlt ihm das Verständnis. Das Interesse sowieso.

Schon allein wegen der verbrannten Kalorien wäre es ratsam, die Treppe zu nehmen. Analog eine Stufe nach der anderen zu steigen.

Hinter einem Gitter steht er bereit, jede Etage zu erreichen in diesem Haus. Vom Wunder ist er zu einer Option geworden.
Dett is ihm Mampe. Ändern kann er es nicht, selbst als die Herren von der SS zum Puff im dritten Obergeschoss wollten, war er gefügig. Siemens Halske ist keine moralische Institution, oder ist es die AEG?
Er redet nicht. Er schwebt ein auf Knopfdruck. Hat der englische Adel mit Butlern über Politik diskutiert? Zu dieser Frage ist er ohne Meinung.
Es ist ein Aufzug.
Würde ist ihm unbenommen. Es schwebt über 100 Jahre.

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