Der Wedding, nicht wie er war

Gebratener Maiskolben für 3,50 Euro. Zubereitet vor den Augen des Kunden am Straßenrand von kundiger Hand. Türken kennen sich aus mit Maiskolben. Gegenüber ein Farbiger, irgendwas mit Leder verkauft er. Manchmal Kunst, manchmal Leder. Dazwischen irgendwas mit Menschen: Kinder, Mütter und wer sonst so einkauft. Menschen. Zwei Beine, ein Kopf. Verloren, verliebt, besorgt, einsam, mit Familie, hübsch, gut gehalten oder sowieso völlig daneben.
Er würde dann wohl Ärger mit seiner Frau bekommen, sagt der Farbige dem Typ mit den Maiskolben. In einem Moment, der für beide zu den besseren an diesem Tag zählt.
Kunstleder mag nicht so begehrt sein wie Maiskolben, aber vielleicht haben Männer in Afrika es doch etwas besser verstanden, wie es so ist mit der Frau, als, nunja, in der Türkei. Wenn er seine Kunstlederkollektion eben kurz verlassen muss, wacht der Herr der Maiskolben darüber. Die chauffieren vor sich hin; direkt gegenüber.
Mir kllingt ein “Dankeschön” aus einer arabisch geprägten Kehle im Ohr nach. Ich imaginiere einen Sturzflug mit einer Drohne über die Badstraße und repetiere dieses “Dankeschön” im rappenden Refrain:
C’est une homme, trés près a toi!

Für Lille

Du hast dich angeschickt, dieses Land zu unterteilen: In Kopftuchmädchen, in Messermänner und was dir sonst so einfällt.
Du baust Schreckensbilder auf. Wofür?
Aus politischem Kalkül, weil du es so empfindest, oder es besser weißt, aber für die Karriere ein blinder Fleck eben opportun ist? Schließlich bist du in einer Partei, die sich über High-Performer wenig Sorgen machen muss, ein Licht. Lille!
Einer wie dir würde ich zutrauen, sich zu benehmen. Ein zivilsatorischer Grundanstand dürfte dir eigentlich nicht fremd sein. Den Gaul, den du reitest, treibst du jedoch so erbarmungslos radikal nach rechts. Auf der Strecke bleibt der Grundanstand.
Hast du jemals für eine Familie mit türkischem oder sonstwie Migrationshintergrund am Tisch Platz gemacht? Sie willkommen geheißen in etwa 30 Sekunden? Die Tasche beiseite räumen, einen Stuhl zu Recht rücken und im Gesicht des Gegenübers einen Menschen an einem Sonntagabend zu sehen?
Ein Mensch, der als Frau, Mutter, Vater, Mann mit seinen Kindern essen will. Sie bedankt sich und erinnert mich an einen exotischen Film. Dass seine Frau Strahlkraft hat, weiß er. Aber jetzt erst mal ein Hähnchen essen.
Lille, wenn Du deinem Herzen folgen willst, weißt du noch, wo du es findest?

Lehrernd

Sie ist versoffen, seit mindestens einer Generation. Das Wesen einer Thresenschlampe teilt sie mit ihrer Schwester, vermutlich. Blitzgescheid, nach Bruchlandungen im öffentlichen Dienst als Dozentin für Englischunterricht gelandet. Mach da bloß keinen Fehler! English, you know, what I mean.
Einfach ist anders. Scheitern ist mehr als there was something going wrong.
“Von Dir habe ich gelernt”, sagt sie nach dem dritten Schnaps. Ein Kompliment, das Wolken der Vergangenheit in sich trägt.

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